»Wir warten auf Umsetzung der Versprechen«
Die syrische Stadt Kobani war ein Symbol für den Krieg gegen den IS. Von der ihr zugesagten Hilfe ist wenig angekommen. Gespräch mit Mehmet Atac
Interview: Gitta Düperthal
Zwei Jahre ist es her, seit Kobani von den kurdischen Frauen- und Volksverteidigungseinheiten YPJ/YPG vom »Islamischen Staat«, IS, befreit wurde. Vom öffentlichen Interesse, das sich damals auf die Stadt in Nordsyrien richtete, ist nicht mehr viel zu spüren. Wie ist die aktuelle Situation dort?
Damals verdeutlichten Berichte im Fernsehen und anderen Medien, wie wichtig es war, die Stadt zu retten. Deprimierend ist, dass all die Versprechen, sie zu fördern, nicht gehalten wurden. Dabei nimmt die immer noch weitgehend zerstörte Stadt, die ein Trümmerfeld im Wiederaufbau ist, jede Menge syrische Flüchtlinge auf. 200.000 Menschen leben nun dort. Die Türkei schneidet mit ihrem Mauerbau an der etwa 1.000 Kilometer langen Grenze zu Nordsyrien Kobani zunehmend von der Außenwelt ab, begleitet obendrein von permanenten Angriffen durch die türkische Armee.
Wie können die Menschen so überhaupt leben?
Viele sind trotz der Gefahr zurückgekehrt, weil sie ein freies Leben führen wollen. Dabei setzt die nordsyrische Stadt auf Demokratie und Frauenbeteiligung. Kobani ist ja Teil der demokratischen Föderation in Rojava. Dort leben Kurden, Syrer, Turkmenen, Araber, Jesiden, Armenier friedlich miteinander, Frauen sind in allen Institutionen in einer Doppelspitze gleichberechtigt vertreten. Doch während erzpatriarchalen Systemen im Mittleren Osten und der Türkei das Geld nur so in den Rachen geschmissen wird, landet in Kobani kein Cent aus öffentlichen Kassen.
Wie unterstützt Ihr Verein den Wiederaufbau?
Unser im September 2016 gegründeter Verein Städtefreundschaft Frankfurt-Kobane hat bislang 50.000 Euro für ein Waisenhaus gesammelt. Das Haus ist bis zur zweiten Etage gebaut, 100.000 Euro werden weiterhin benötigt. Diese Kinder mussten soviel erleiden, sie brauchen unsere Unterstützung. Unser Verein, der unter anderem aus Lehrern, Ärzten und Traumapädagogen besteht, hält ständigen Kontakt mit den Menschen dort, und einige von uns planen, dorthin zu reisen. Wir wollen die Städtepartnerschaft Frankfurt-Kobani vorantreiben, damit endlich öffentliche Gelder fließen. Auch der Hessische Landtag hat Unterstützung zugesagt, nachdem der Lehrer Abdi Qader, der zugleich Stadtrat in Kobani ist, vor dem Parlament geschildert hatte, dass die Schüler teilweise ihre Hefte mit Bleistift vollschreiben, anschließend alles wieder ausradieren und die Hefte dann erneut benutzen, weil nicht genügend Material vorhanden ist. Wir warten auf die Umsetzung der Versprechen. Die syrische Stadt Kobani war ein Symbol für den Krieg gegen den IS. Von der ihr zugesagten Hilfe ist wenig angekommen.
Türkische Behörden wollten kürzlich Hilfsgüter von »Dresden hilft Kobane« vernichten. Wie schaffen Sie es, Baumaterial und anderes dorthin zu bringen?
Wir werden den genauen Weg nicht öffentlich beschreiben, aber unsere Hilfe kommt an. Unter anderem auch, weil es im Kobani benachbarten Kanton Cizire viele Fabriken gibt. Auch in Manbidsch, das durch die YPJ/YPG vom IS befreit wurde und jetzt unter Selbstverwaltung der Bevölkerung steht und verteidigt wird, gibt es viele Fabriken. Deshalb ist es auch so schlimm, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Montag gesagt hat, er wolle nach Al-Bab auch Manbidsch befreien. Was gibt es da zu befreien? Die Bevölkerung wurde am 31. Mai vergangenen Jahres durch die Syrischen Demokratischen Kräfte, SDF, befreit. Der Kampf gegen den IS und seine Vertreibung hatten 73 Tage gedauert.
Wie bewertet die Bevölkerung in Kobani den mangelnden Einsatz des Westens?
Sie können nicht verstehen, warum sie im Gegensatz zur Türkei von niemandem unterstützt werden, da sie doch diejenigen sind, die verhindert haben, dass die Islamisten weiter vordringen konnten – während die Türkei selber bekanntermaßen einen regen Grenzverkehr von Salafisten zumindest geduldet, wenn nicht gar gefördert hat. Die Syrische Demokratische Kräfte sind es, die verhindert haben, dass sie dort nicht in einer Weise erstarken konnten, die es ihnen ermöglichen würde, auch Angriffe in Europa durchzuführen.