10. September 2022

Begrüßungsrede der Frankfurter Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg beim Kongress von medico international „10 Jahre Rojava“ (es gilt das gesprochene Wort)

Lieber Tsafrir Cohen,
Liebe Freundinnen und Freunde Rojavas,

als Ende 2010 der arabische Frühling zahlreiche Länder ergriff, waren damit große Hoffnungen verbunden. Hoffnungen auf ein Ende des Despotismus und der
Unterdrückung. Hoffnungen auf Demokratie, Selbstbestimmung, Freiheit, Frauen- und LGBTIQ-Rechte.

Es war eine Zeit des Aufbruchs. Die ganze Welt fieberte mit, ob es den zivilgesellschaftlichen und demokratischen Kräften gelingen würde. Wir wollten es so sehr. Wir wollten so sehr, dass die Menschenrechte siegten. Dass sie friedlich siegten. Ohne Blutvergießen, allein mit Worten und der Kraft der Idee: Die Idee,
dass alle Menschen gleich an Rechten sind.

Zu unserem Entsetzen kam es in vielen Ländern jedoch ganz anders. Blutige Bürgerkriege tobten in Ländern wie Libyen, Jemen oder Syrien. Die Despoten klammerten sich mithilfe ihrer Militär- und Polizeiapparate an ihrer Macht fest. Islamisten nutzten die Unruhe, um ihren Einfluss gewaltsam auszubauen.

Inmitten all dem Schrecken und all dem Leid gibt es aber einen Ort, der die Idee der Menschenrechte nicht vergessen hat. Einen Ort, an dem demokratische Ideale gelebt und sogar weiterentwickelt werden. Und dieser Ort ist Rojava.

Die Gesellschaft von Rojava sieht sich der permanenten Bedrohung gegenüber. Umso bewundernswerter ist es, dass das Handeln der autonomen Selbstverwaltung weiterhin von Prinzipien wie Minderheitenrechten und Demokratie geleitet wird.

Deshalb finde ich es auch großartig, dass medico Rojava von Anfang an vor Ort unterstützt hat. Ihr Einsatz in der Gesundheitsversorgung und der Geflüchtetenhilfe ist für viele ein Vorbild.

Wir sind hier alle Rojava zu Dank verpflichtet. Der Kampf um Kobanê brachte dem sogenannten Islamischen Staat die erste Niederlage bei. Damit war der Nimbus der Unbesiegbarkeit gebrochen.

Umso abscheulicher ist es, dass das demokratische Projekt Rojava seit Monaten angegriffen wird. Drohnenschläge von der Türkei sind nicht hinnehmbar. Daran ändern keine Deals mit der EU etwas. Die politischen Katastrophen in anderen Teilen der Welt dürfen nicht dazu führen, dass Rojava einfach vergessen wird.

Was bedeutet das für Frankfurt? Das bedeutet, dass wir an der Seite Rojavas stehen müssen. Und dass wir die Kurdinnen und Kurden vor Aggressionen und
Diskriminierungen schützen müssen.

Faschistische Organisationen wie die Grauen Wölfe versuchen auch in Frankfurt, das Leben der Kurdinnen und Kurden zu bedrohen. Sie haben sogar versucht, eine Kommunalpolitikerin einzuschüchtern. Sarya Ataç, die stellvertretende Vorsitzende der Ausländer:innenvertretung, hat Todesdrohungen erhalten. Das ist die Gewalt und die Niedertracht mit denen die demokratische Idee angegriffen wird. Sie wird angegriffen in Rojava, aber auch direkt von unserer
Haustür.

Ich möchte ihnen versichern, dass ich da fest an ihrer Seite stehe. Solidarität, Menschlichkeit, Demokratie und Freiheit gelten für alle. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die internationale Anerkennung Rojavas kommen wird und die Menschen dort in Frieden leben können.

Ich danke Ihnen von ganzem Herzen und wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Tagung.