Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. März 2021
Frankfurt soll Bündnis mit Kobane aufbauen
Ein Verein kämpft für eine Partnerschaft mit der vom Bürgerkrieg schwer gezeichneten kurdischen Stadt im Norden Syriens
Alexander Jürgs
Im September 2014 blickte die Welt auf Kobane, eine Stadt im Norden Syriens, an der Grenze zur Türkei. Mit auf ihrem Feldzug im Irak gestohlenen Waffen und Humvees rückten die Terroristen vom sogenannten Islamischen Staat auf die von Kurden selbstverwaltete Stadt vor. Weltweit gingen Menschen damals auf die Straßen und forderten Unterstützung für die bedrohte Bevölkerung. Die Angst vor einem Massaker war groß, bei ihrer Offensive eroberten die Dschihadisten Viertel um Viertel der nordsyrischen Stadt. Doch nach anfänglichen Rückschlägen gelang den nur notdürftig ausgerüsteten Verteidigungstruppen in Kobane, unterstützt von Peschmerga-Einheiten aus dem Nordirak und Luftangriffen der amerikanischen Armee, ein Gegenschlag, mit dem wohl niemand mehr gerechnet hatte. In zähen Straßenkämpfen vertrieben die Kämpfer, unter ihnen viele Frauen, die Islamisten. Der Kampf um Kobane wurde zum gefeierten Sieg gegen die mörderischen IS-Milizen.
Doch umfänglichen Frieden und Entspannung brachte er der Region nicht. Bis heute stehen Kobane und die Gegend rund um die Stadt unter Druck. Angriffe kommen nun von türkischer Seite, die seit jeher mit Härte gegen jedes kurdische Autonomiebestreben vorgeht. Und auch die Bedrohung durch dschihadistische Verbände ist noch lange nicht vorbei, immer wieder gelingt es inhaftierten IS-Kämpfern, sich aus Gefängnissen zu befreien. Von einer stabilen Nachkriegsordnung ist man in Kobane, wie eigentlich überall sonst auch in Syrien, weit entfernt. Vorgeworfen wird der kurdischen Selbstverwaltung im Norden Syriens oft auch eine Nähe zur türkischen PKK. Die Organisation wird von Deutschland als terroristische Vereinigung eingestuft.
Das hält einen Frankfurter Verein jedoch nicht davon ab, mit großem Engagement für eine Städtepartnerschaft zwischen der nordsyrischen Stadt und der Mainmetropole zu werben. Seit 2016 schon trommeln die Vereinsmitglieder für den Bund zwischen den Städten, rund 40 Mitglieder hat der Verein mit dem Namen Städtefreundschaft Frankfurt – Kobane. Von einer „bunt zusammengewürfelten Gruppe“, zu der auch einige in Frankfurt lebende Kurden zählen, spricht Kurt Bovensiepen, der von Anfang an dabei war.
Doch wie soll das klappen? Kann eine Städtepartnerschaft zwischen einer bis heute umkämpften Stadt und einer westdeutschen Wirtschaftsmetropole überhaupt in Gang kommen? Kaum vorstellbar etwa erscheint es, dass sich schon bald Schulklassen oder Sportvereine aufmachen nach Kobane, um sich mit der dortigen Bevölkerung auszutauschen. „Na klar, warum soll das nicht funktionieren?“, sagt Lisa Kenan. „Man darf nur nicht davon ausgehen, dass es eine der üblichen, typischen Städtepartnerschaften wird.“
Auch die Politikwissenschaftlerin engagiert sich, seit sich die Initiative gegründet hat, für die Idee einer deutsch-kurdischen Verbindung. „Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt, haben Kobane und Frankfurt viele Gemeinsamkeiten“, sagt sie. „In beiden Städten herrscht ein multikulturelles Flair, in beiden Städten ist viel Potential, viel Bewegung.“ Und auch, dass es in Frankfurt eine große kurdische Gemeinschaft gibt, nennt Kenan als Grund, die Idee nicht vorschnell aufzugeben. „Natürlich hoffen wir, dass es einmal zu einem Schüleraustausch mit Kobane kommen wird, auch wenn jedem klar sein dürfte, dass das allzu bald nicht möglich sein wird.“
Selbst den Vereinsmitgliedern fällt es oft schwer, den Kontakt in die nordsyrische Grenzregion zu halten. Per Telefon, Videokonferenzen oder E-Mails stehen sie mit Vertretern der dortigen Stadtverwaltung im Austausch. Doch weil man in Kobane auf das türkische Telefonnetz angewiesen ist, passiere es immer wieder, dass die Verbindungen für Tage oder Wochen gekappt werden, erzählt Kenan. Auch Besuche von Vertretern aus Kobane in Frankfurt seien kaum zu organisieren, weil die Flugrouten kompliziert verlaufen und Visa oft nicht erteilt werden. Vor zwei Jahren war es gelungen, einen Vertreter der Selbstverwaltung nach Frankfurt einzuladen. Sylvia Weber, Sozialdemokratin und Frankfurter Integrationsund Bildungsdezernentin, hatte damals dafür gesorgt, dass der Besuch zustande kam. Und auch Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann, der wie Weber der SPD angehört, hat bereits ein Projekt des Vereins unterstützt. Feldmann spendete für eine Bibliothek in einem Waisenhaus in Kobane, für das die Gruppe Geld sammelt.
Zwei Spendenkampagnen hat der Verein bislang ins Leben gerufen, bei beiden arbeitet er mit einer Organisation vor Ort, der Stiftung der freien Frauen in Syrien, zusammen. Für das Waisenhaus, das im Sommer 2018 eröffnet wurde, sind durch Frankfurter Spender mittlerweile mehr als 100 000 Euro zusammengekommen, aber auch in anderen Städten wird für das Projekt gesammelt. Rund 100 Kinder, die bei den Auseinandersetzungen um Kobane ein oder beide Elternteile verloren haben, konnten dort ein neues Zuhause finden, im dazugehörigen Kindergarten werden sie auch psychologisch betreut. Seit einiger Zeit treibt der Verein außerdem auch Spenden für eine mobile Klinik ein, die in der ländlichen Region um Kobane eingesetzt werden soll. In der Stadt selbst gibt es zwei Krankenhäuser und eine Geburtsklinik, im Umland aber fehlt es oft an medizinischer Grundversorgung. Ein vierköpfiges Team soll, wenn die Finanzierung steht, in einem zur Gesundheitsstation umgebauten Lastwagen durch die Region fahren, einfache Behandlungen und Impfungen durchführen, Medikamente ausgeben.
Doch warum engagieren sich die Vereinsmitglieder ausgerechnet für Kobane? „Das ist die Strahlkraft, die von dort ausgeht, der Versuch aus einer schwierigen Situation etwas Außergewöhnliches zu schaffen“, sagt Kurt Bovensiepen. „Mich beeindruckt, wie die Menschen in Kobane trotz Krieg und Zerstörung etwas anpacken. Diese Aufbruchsstimmung, diese Mischung aus Freude, Begeisterung und Überlebenswillen imponiert mir.“
Ein „Austausch auf Augenhöhe“ soll die Städtepartnerschaft zwischen Frankfurt und Kobane werden, darauf hofft Lisa Kenan. Und dass es durch solch eine Verbindung leichter werden wird, den Menschen vor Ort zu helfen. Denn auf Unterstützung, so schätzt die Politikwissenschaftlerin es ein, wird die Bevölkerung von Kobane, das vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs als Syriens Kornkammer galt, noch länger angewiesen sein.
Dass die Idee für den Städtebund mit der nordsyrischen Stadt so abwegig, wie sie zunächst erscheinen mag, vermutlich gar nicht ist, zeigt ein Blick nach Italien: Zwischen Rom und Kobane besteht bereits seit 2015 eine Städtepartnerschaft. Und auch der nordrhein-westfälische Kreis Herford hat mittlerweile beschlossen, solch eine Verbindung mit der Stadt im Norden Syriens einzugehen. Der Berliner Bezirk Friedrichhain-Kreuzberg ist bereits seit 2019 mit der kurdisch geprägten Stadt Derik, die ebenfalls im Norden Syriens liegt, verbrüdert. „Andere haben es längst vorgemacht und gezeigt, dass solche Partnerschaften möglich sind“, sagt Lisa Kenan. „Darauf sollten wir in Frankfurt aufbauen.“
F.A.Z., 26.03.2021, Frankfurt (Rhein-Main-Zeitung), Seite 31 – Ausgabe R-DA, R-WI, R-MK, R-HT, R-F,
Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv