Redebeiträge zum Internationalen Kobanê-Tag am 1. November 2022 in Frankfurt

Grußwort der Bürgermeisterin und Dezernentin für Diversität, Antidiskriminierung und gesellschaftlichen Zusammenhalt Dr. Nargess Eskandari-Grünberg

Dr. Nargess Eskandari-Grünberg_bearb

Liebe Freundinnen und Freunde Kobanês,

Zum Internationalen Kobanê-Tag möchte ich Ihnen als Bürgermeisterin und Diversitätsdezernentin meine Grüße und meine Solidarität übermitteln.

Wenn ich heute an Kobanê denke, dann denke ich auch an Saghes. Vergangenen Mittwoch sind tausende Menschen nach Saghes in der westlichen Provinz Kurdistan gefahren. Trotz des Verbotes durch das iranische Terrorregime waren die Straßen voller Menschen. Sie sind aus dem ganzen Land gekommen, um an dem Grab Zhina Mahsa Aminis zu trauern. Am Mittwoch war ihr 40. Todestag.

Das Streben der Kurd:innen nach einem selbstbestimmten und freien Leben und der iranische Protest hängen zusammen. Zhina Mahsa Amini war iranische Kurdin. Die Demonstrierenden rufen „Jin, Jiyan, Azadî“. Sie wollen das gleiche: Ein Leben in Würde, in Demokratie. Sie wollen Menschenrechte und sie wollen nicht länger der Gewalt und dem Terror des religiösen Fundamentalismus ausgesetzt sein.

Seit 43 Jahren herrscht im Iran der Tugendterror. Frauen werden ermordet, weil sie zwei Haarsträhnen zeigen. LSBTIQ-Menschen werden gehängt, weil sie ihre Sexualität ausleben. Oppositionelle werden inhaftiert und gefoltert, weil sie mit den unerträglichen Zuständen nicht einverstanden sind. Das Mullah-Regime reagiert auf die Proteste wie gewohnt mit Brutalität. Mehr als 240 Menschen sind bereits getötet worden, abertausende wurden inhaftiert.

Insbesondere Kurd:innen werden von dem Regime ins Visier genommen. Ich möchte stellvertretend für die vielen, vielen jungen Menschen an Yahya Rahimi erinnern. Yahya Rahimi wurde in Sanandaj erschossen, weil er in seinem Auto aus Solidarität für den Protest gehupt hat. Das allein hat dem Regime der Mörder ausgereicht, ein junges Leben auszulöschen.

Auch nach außen verbreitet das iranische Regime Terror und Gewalt. Ende September haben die Revolutionsgarden Kurd:innen im Irak bombardiert. Nur um von den Problemen im eigenen Land abzulenken.

All das erfüllt mich mit Wut, all das erfüllt mich mit Trauer. Aber ich habe auch Hoffnung. Die Menschen im Iran, die Menschen in Kurdistan haben genug. Sie haben genug vom Staatsterror, genug von der Gewalt. Sie wollen die Freiheit nicht irgendwann, nicht in 43 Jahren, sie wollen die Freiheit heute. Es hat sich etwas verändert. Diese Veränderung ist nicht rückgängig zu machen. Das Regime kann die Straßen zurückerobern, aber es kann nicht mehr die Köpfe zurückerobern. Die Menschen wollen das Regime nicht mehr. Sie sagen, es ist genug. Und wir sind bei Ihnen. Wir bewundern ihren Mut, wenn sie laut rufen: Jin, Jiyan, Azadî.

Kobanê ist für uns alle eine Inspiration. Es ist der Ort, an dem der Terror von Daesh erstmals besiegt wurde. In Kobanê wird allen Widrigkeiten zum Trotz an der Demokratie festgehalten, an den Frauenrechten und den Rechten für Minderheiten. Bewahren wir uns diese Inspiration! Denn Menschenrechte sind unteilbar.

Bijî Rizgariya Kobanê! Es lebe die Befreiung von Kobanê!
Jin, Jiyan, Azadî! 

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Cenî - Kurdisches Frauenbüro für Frieden

Welt-Kobanê-Tag: Widerstand ist jeden Tag!

Die Befreiung Kobanês durch die Kämpfer*innen der YPG und YPJ ist nicht nur ein historischer Tag für den kurdischen Befreiungskampf, sondern für alle unterdrückten und Widerstand leistenden Menschen auf der Welt. 134 Tage lang leisteten sie Widerstand, um den IS zu zerschlagen. Dabei haben Tausende Kämpfer*innen im Kampf gegen den IS und für den Aufbau einer befreiten Gesellschaft ihr Leben gelassen. Wir gedenken ihrer mit Respekt.

Kobanê wurde der ganzen Welt als widerständige Stadt bekannt, und im Zentrum des Widerstands standen Frauen. Sie kämpften an vorderster Front für die Verteidigung des Lebens und der Gesellschaft sowie gegen die menschenfeindliche, faschistische und patriarchale Mentalität des IS. In der Finsternis, die der IS geschaffen hatte, wurde Kobanê zu einem Licht der Hoffnung, der Solidarität und eines historischen, mutigen Kampfes für die Befreiung der Gesellschaft und insbesondere der Frauen.

Damals hallte, genau wie heute, der Ruf „Jin Jiyan Azadî“ durch die Straßen der ganzen Welt, als Menschen sich mit dem Widerstand in Kobanê solidarisierten. Mit Blick auf den Iran und auf Kurdistan befinden wir uns heute ebenfalls in einer historischen und entscheidenden Phase für die Befreiung von Frauen.
Dass wir heute „Jin Jiyan Azadî“ rufen, ist eine Erinnerung an das, was geschehen kann, wenn Menschen sich gegen das patriarchale und menschenfeindliche System auflehnen. Es ist eine Erinnerung an Widerstände wie die in Kobanê, die uns alle damals auf der ganzen Welt vereint haben und die uns allen Hoffnung
und Inspiration gaben.

Während wir uns mit diesem Geist heute erneut vereinen müssen, um gegen Feminizid, Krieg, Vertreibung, Gewalt und Ausbeutung zu kämpfen, und das auf der ganzen Welt, ist es dennoch wichtig, die Gesellschaft in Kobanê und in Nord- und Ostsyrien nicht zu vergessen.

Die Selbstverwaltung in Rojava wird seit Jahren von der internationalen Gemeinschaft allein gelassen; ob mit der Wasserversorgung, dem Embargo, mit den IS-Gefangenen, oder bei den andauernden Drohnenangriffen des türkischen Staates – dem Staat mit der zweitgrößten NATO-Armee.

Feministische Solidarität unter dem Slogan „Jin Jiyan Azadî“ darf also nicht abstrakt bleiben. Es gibt unzählige Baustellen, die unsere konkrete, praktische Solidarität erfordern. Wenn wir uns heute für Kobanê auf den Straßen versammeln, erinnern wir uns daran, dass es nicht nur ums Gedenken und Erinnern geht, sondern auch um das, was wir heute noch immer tun müssen – nämlich kämpfen.

Wir gedenken erneut den Gefallenen von Kobanê, die für die Freiheit ihr Leben ließen und sagen:
Sehîd namirin – Jin Jiyan Azadî – Hoch die internationale Solidarität!
01.11.2022

Martin Huber, VOLT (Redebeitrag im Wortlaut)

Die historische Unterdrückung von Kurd*innen und die militärischen Aggressionen der türkischen Regierung sind auf das Schärfste zu verurteilen. 

Es ist naheliegend, dass wir auch als Stadt, wie für die Ukraine, unsere Solidarität mit einer Resolution ausdrücken, weil es um die Freiheit von Millionen Menschen geht. Wir haben die Verabschiedung einer solchen Resolution unterstützt, allerdings gab es dafür in der Koalition keine Einstimmigkeit. Dennoch war es wichtig, dass wir uns dazu als Fraktion öffentlich erklärt haben und im Austausch mit dem Verein Frankfurt-Kobane sind.

Die Kurd*innen in Syrien, bzw. Rojava haben maßgeblich zum Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) beigetragen. Für ihren Kampf für Freiheit und Autonomie haben sie die Gleichberechtigung von Frauen, Ökologie und Demokratie als feste Grundprinzipien festgelegt. Die Anerkennung der „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, der Schutz der Würde der Menschen oder die Achtung der Glaubensfreiheit sind nur einige Beispiele, welche die emanzipatorische Kraft der kurdischen Bestrebungen zum Ausdruck bringen. Weltweit sind sie die größte Bevölkerungsgruppe ohne anerkannte Autonomie oder eigenen Staat.

Um so trauriger ist es, dass der Weg hin zu einer emanzipierten, demokratischen Gesellschaft so wenig dauerhafte internationale Unterstützung erfährt. Auch das würde eine feministische Außenpolitik mit einschließen.

Was ich nicht unerwähnt lassen möchte: Es ist ebenso bemerkenswert, welche Grundsteine die kurdischen Menschen im Iran für die dort stattfindende, feministische Revolution gelegt. Der starke und gemeinschaftliche Wille zum Sturz der Islamischen Republik ist in seinen Ursprüngen maßgeblich den Kurdin*innen zu verdanken – auch das bedarf unserer Solidarität und Aufmerksamkeit.

Khadija Barakat, Europa-Sprecherin von Kongra Star, Dachverband der Frauenbewegung Nord- und Ostsyriens

Kongra Star

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossen, liebe Mitbürger!

Wir freuen uns, den 1. November mit euch feiern zu können.

Wie ihr alle wisst bedeutet uns der 1. November sehr viel, denn er gilt weltweit als Befreiungstag von Kobane, als Tag, an dem Kobane vom IS befreit wurde und die Freiheit ausrief.

Wir stehen heute hier und verkörpern die Werte Demokratie, Gleichberechtigung, Freiheit und Zusammenhalt durch unseren jahrelangen Kampf in Rojava. Die
tapferen Kämpferinnen und Kämpfer der YPJ und der YPG befreiten die kurdischen Gebiete und seitdem leben die Menschen in einer basisdemokratischen
Selbstverwaltung. Jede Religion, jede Ethnie, jede Nationalität kann in Rojava friedlich und frei leben.

Seit Beginn der Revolution haben die Kurden im Norden sehr viel erreichen können und kämpfen weiterhin für unsere Werte, da der IS immer noch unter uns ist und zusammen mit der türkischen Regierung tagtäglich hinterhältige Angriffe auf kurdische Gebiete verübt.

Tagtäglich fliegen türkische Drohnen über kurdische Gebiete und verüben tödliche Anschläge. Die türkische Regierung will verhindern, dass die kurdische
Freiheitsbewegung zu einem Symbol weltweit wird und jeder diesem Beispiel folgen will. Sie will das Modell der basisdemokratischen Selbstverwaltung in Rojava aufhalten und verhindern.

Jedoch haben die Kurden, vor allem die kurdischen Frauen, sehr viel erreicht und das Patriarchat in Rojava zerschlagen können. Frauen müssen weltweit weiter für ihre Rechte kämpfen, da sie unterdrückt, gefangen, gefoltert und getötet werden. Wir, die kurdischen Frauen, kämpfen Seite an Seite mit jeder Frau, die für ihre Rechte einstehen will. In Rojava hat die Frau ihre Eigenorganisierung begonnen und ist Teil der Selbstverwaltung. Die autonome Organisierung und Beteiligung von Frauen spielen darin eine zentrale Rolle: Frauen sollen durch ihre autonome Organisierung in Kommunen, Räten, Kooperativen und Akademien die Möglichkeit erhalten, ihre Interessen zu formulieren und in diese Strukturen einzubringen. Die kurdische Frau ist in allen gesellschaftlichen Bereichen vertreten, selbst im Militär, in den Selbstverteidigungseinheiten YPJ. Ihr Mitwirken an politischen Entscheidungsprozessen und in Institutionen wird durch
das System der paritätischen Ko-Leitung abgesichert.

Jin Jiyan Azadi – Frau Leben Freiheit ist eine kurdische Parole, die aus der kurdischen Freiheitsbewegung stammt und weltweit Zuspruch gefunden hat und nun in den Protesten im Iran gerufen wird. Jina Mahsa Amini wurde durch die iranische Sittenpolizei getötet, weil ihr Kopftuch nicht richtig saß. Seitdem finden Proteste im ganzen Iran statt und es folgten noch mehr Opfer vor allem Frauen, die gefangen, gefoltert und getötet wurden.

JIN JIYAN AZADI ist in der kurdischen Freiheitsbewegung schon lange sehr bekannt, denn auch Abdullah Öcalan sagt, dass eine Gesellschaft nur besteht und erfolgreich ist, wenn die Frau frei ist. Wird die Frau unterdrückt, so zerbricht auch unsere Gesellschaft und kann nicht bestehen. Daher ist die einzige Lösung des Friedens und der Freiheit die Befreiung der Frau weltweit.

Wir als Kongra Star verurteilen jeden Angriff gegen die Frau im Iran und weltweit; wir verurteilen jeden Angriff gegen die Freiheit der Frau. Wir stehen heute hier und verlangen zusammen mit unseren Genossen und Freunden das Ende der Gewalt im Iran und der ganzen Welt und die Befreiung jeder Frau im Iran und der ganzen Welt.

Wir rufen zusammen mit allen: Freiheit für jede unterdrückte Frau! – Jin, Jiyan, Azadi!

Städtefreunschaft Frankfurt - Kobanê e.V.

Über den Verein „Städtefreundschaft Frankfurt-Kobane“

Im Jahr 2014 wurde die nordsyrische Stadt Kobane vom IS überfallen und nach verlustreichen Kämpfen der erste Sieg über den IS errungen – Dank des
entschlossenen Widerstandes der Bevölkerung und der Selbstverteidigungseinheiten YPG und YPJ.

Von diesem mutigen Widerstand und dem fortschrittlichen Gesellschaftskonzept, das die Menschen dort verfolgen, waren wir inspiriert und wollten unsere Solidarität auch praktisch ausdrücken. Daher gründeten wir 2016 den Verein „Städtefreundschaft Frankfurt-Kobane“, in dem ein buntes Spektrum von Menschen aktiv ist. Unser Ziel ist es, über die Lage vor Ort zu informieren, dort Projekte des Wiederaufbaus, insbesondere aber Projekte zu unterstützen, die die Selbstorganisierung der Frauen fördern, weil wir die Rolle der Frau als zentral für jeglichen gesellschaftlichen Fortschritt betrachten. Die Parole „Jin, Jiyan, Azadi- Frau, Leben Freiheit“ begleitet unsere Arbeit von Anfang an.

Wir streben auch eine offizielle Städtepartnerschaft zwischen Frankfurt und Kobane an, die getragen ist vom gesellschaftlichen und kulturellen Austausch auf Augenhöhe. Wir versuchen unsere Kontakte in die Gremien der Stadt zu vertiefen und haben so beispielsweise schon Vertreter aus Kobane zu Gesprächen mit den hier vertretenen Parteien und Dezernenten eingeladen. Die Bildungsdezernentin Sylvia Weber hat uns durch Redebeiträge und die Übernahme der Schirmherrschaft einer Kobanetagsveranstaltung unterstützt, ebenso die Bürgermeisterin. Vom Gesundheitsdezernenten Stefan Majer haben wir nun zum zweiten Mal ein großes Kontingent an FFP2-Masken erhalten, die zum Covid-Schutz in Rojava dringend gebraucht werden und an den Kurdischen Roten Halbmond übergeben wurden.

Wir möchten aber auch, dass sich die Frankfurter Stadtverordneten mit der politischen Lage in Rojava beschäftigen. Und so haben wir die Stadtverordnetenversammlung diesen Sommer dazu aufgefordert, die völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei auf Rojava und den Nordirak zu verurteilen. Und auch wenn ein Veto der FDP einen entsprechenden Beschluss der Stadtregierung verhindert hat, haben wir neue Bündnispartner gewinnen können, was auch in den Grussworten, die wir heute hören werden zum Ausdruck kommt.